Patrizia Cavalli hat einmal ein sehr irritierendes Gedicht geschrieben:
Qualcuno mi ha detto
che certo le mie poesie
non cambieranno il mondo.
Io rispondo che certo sì
le mie poesie
non cambieranno il mondo.
Wenn man fast täglich (im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann ist das Gedicht von Patrizia Cavalli über die Nutzlosigkeit von Lyrik für eine Veränderung der Welt nur eine einzige große Provokation. Aber warum schreiben dann immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte?! Evviva la Poesia! Gäbe es sie nicht, würde uns etwas fehlen - etwas Grosses, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen läßt.
Zurückgekommen
aber von wo aufgebrochen.
Gefunden
aber was habe ich gesucht.
Heimat
aber mir fehlt die Fremde.
Der mir liebste italienische Lyriker ist Giorgio Caproni. Er hat einige mich sehr bewegende Gedichte über die Suche nach einem Ort und einer Identität im Leben geschrieben. Ein Echo von diesen Gedichten spürt man vielleicht in diesem Gedicht…
Sich verlieren in alten Strassen,
entlang zeitabgewandter Mauern
und auf stummen Steinen gehen.
Am Himmel aber die neuen Wolken
das Licht, das Licht so hell.
Eine andere Stadt erwarten.
Dieses Gedicht ist eine poetische Skizze zu Ferrara, ‚la città italiana della mia scelta‘. Und bei jedem Aufenthalt in dieser Stadt der Ebene erwarte ich eine neue Stadt, die ich bislang noch nicht gesehen habe…
Mein Amerika ist still,
selten der Schrei eines Vogels
aussterbender Art.
Und über den Ebenen
treiben traurige Träume.
Da, wo du bist
dort ist mein Amerika.
Ein ähnliches Gedicht gibt es von der wunderbaren deutschen Lyrikerin Rose Ausländer, das mich inspiriert hat. Ich war noch nie in Amerika und habe nur wenig von der Welt gesehen. Das macht mich traurig, aber ich habe immer auch ein ‚anderes Amerika‘ im Kopf. Da wo ‚Du‘ bist, ist mein Amerika…
Auf der Giudecca
öffnen sie jetzt ihre Türen.
Ein Blick gilt dem Himmel
ein anderer dem Meer.
Schiffe gen Griechenland
und hoffnungswärts meine Liebe.
Von Ferrara ist es nicht weit nach Venedig. Oft bin ich jetzt schon in dieser faszinierenden, aber sehr bedrohten Stadt gewesen. Und auch von dort aus gehen meine Sehnsüchte und Träume in andere Länder, in ein anderes Leben. ‚Hoffnungswärts‘ kann man vielleicht gar nicht ins Italienische übersetzen ( ‚verso la speranza‘…). Vielleicht kann die eigene Hoffnung nie erfüllt werden, aber wir bewegen uns immer in ihre Richtung. ‚Hoffnungswärts…